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 VON HÖHERER STELLE                

[Aus "The Wall Street Journal" vom 3. April 1998, Seite B7B]
[übersetzt von Daniel Kobras]

Linux spielt mit in "Titanic", bei Fotos der NASA, aber kann Linux es mit Microsoft aufnehmen?

Von Sean Davis
Dow Jones Newswire

NEW YORK - Die Macher von "Titanic" haben es benutzt, um die Spezialeffekte des Filmhits zu berechnen. Die NASA benutzt es, um Bilder von der Erde zusammenzusetzen. Es ist frei erhältlich für jeden, der es will, aber wenigstens zwei Firmen verkaufen es.

Die Frage: Was ist Linux?

Linux ist ein Betriebssystem, wie Microsofts Windows. Aber im Gegensatz zu Windows gibt es niemanden, dem Linux gehört. Und sein Quellcode - die Befehlsketten, die die Entwickler benutzen, um Linux zu erzeugen - ist frei erhältlich.

Linux-Befürworter vertreten daher die Ansicht, daß die Software gute Chancen besitzt, Windows NT Marktanteile zu entreißen. Windows NT ist die Unternehmensversion des marktführenden Microsoft-Betriebssystems, gedacht für den Einsatz am Arbeitsplatz. Ein kommerzieller Linux-Anbieter, Red Hat Software Inc., schätzt seinen Absatz dieses Jahr auf 400 000 Kopien zum Stückpreis von 50 Dollar.

Die Geschichte des heute als Linux bekannten Betriebssystems nahm ihren Anfang im Jahr 1983. Richard Stallman, damals Programmierer in der Abteilung für Künstliche Intelligenz am Massachusetts Institute of Technology, begann an einer freien Alternative zu Unix zu arbeiten, dem Betriebssystem, das in den Bell Labors der Telefongesellschaft AT&T entwickelt worden war.

Stallman taufte sein Betriebssystem GNU, was für "Gnu's Not Unix" - "Gnu ist Nicht Unix" - steht. (Die Abkürzung in der Abkürzung ist laut Stallman eine alte Tradition in Softwareentwicklerkreisen. Er nennt es "Hacker-Humor".) Durch die Arbeit von Stallman und anderen wuchs GNU Stück um Stück, doch 1991 fehlte noch ein essentieller Teil: der Kern, der das Betriebssystem zum Laufen bringt.

Hier nun kommt Linux' Namensgeber ins Spiel. Linus Torvalds, damals Student an der Universität von Helsinki, schrieb den Betriebssystemkern, benannte ihn nach sich selbst und veröffentlichte ihn unter der GNU Lizenz. (Torvalds arbeitet inzwischen für die erfolgreiche kalifornische Softwarefirma Transmeta in Santa Clara, zu deren Investoren auch der Microsoft-Mitbegründer Paul Allen zählt.)

Die GNU Lizenz GPL ist ein weiteres Stallman-Kind. 1985 zum erstenmal niedergeschrieben und zweimal - zuletzt 1991 - überarbeitet, erlaubt sie jedermann, Linux - oder GNU/Linux, wie das Betriebssystem auch bekannt ist - zu benutzen. Lizenznehmer müssen demnach nachfolgenden Nutzern den Quellcode zur Verfügung stellen, selbst wenn sie ihre Software für Geld vertreiben, wie es ebenfalls erlaubt ist. Und Nutzer müssen zustimmen, daß sie sämtliche Änderungen und Verbesserungen am Betriebssystem als Quellcode öffentlich zugänglich machen.

Das bedeutet, daß eine durch das Internet verbundene Gemeinde von Hackern und Softwareentwicklern Linux ständig erweitert und verbessert. Das Betriebssystem, wie es heute existiert, ist eine lose umrissene Sammlung von Reparaturen und Weiterentwicklungen, möglich gemacht, durch die GNU Lizenz.

Aber freie Software heißt nicht kostenlos, und hier kommen die Unternehmen Red Hat und der Konkurrent Caldera ins Spiel.

Red Hat mit Sitz im Research Triange Park in North Carolina holt sich die aktuelle Version von Linux aus dem Internet und stellt sie zu Paketen zusammen, die auf CD-ROMs verkauft werden.

Red-Hat-Präsident und Mitbegründer Robert Young sagt, daß die Kunden seines Unternehmens für drei Dinge bezahlen: für den Komfort einer CD, für technische Beratung und Service sowie für eine verläßliche Version des Betriebssystems. Er erklärt, daß Red Hat - benannt nach einer Sport-Mütze des Mitbegründers Marc Ewing - seit seinem Start im Januar 1995 rund 600 000 CDs vertrieben hat.

Caldera, beheimatet in Orem im US-Bundesstaat Utah verfolgt eine etwas andere Geschäftsstrategie. Es ergänzt Linux um nicht frei erhältliche - proprietäre - Elemente, unter anderem eine bedienungsfreundliche Benutzeroberfläche, und verkauft das Paket auf CD-ROM. Für die proprietäre Software muß Caldera teilweise Lizenzgebühren an andere Verkäufer entrichten; der Quellcode der kommerziellen Programme wird nicht veröffentlicht.

Hinter Caldera steht Ray Noorda, der 1994 seinen Posten als Novell-Vorsitzender aufgegeben hat. Canopy Group, eine 1995 von Noorda gegründete Investmentfirma, ist Calderas einziger Geldgeber, und Caldera wurde aufgebaut von früheren Novell-Mitarbeitern, die unter Noorda gearbeitet hatten.

Noordas Schulterschluß mit Linux ist in der Tat ein weiteres Kapitel seiner wohlbekannten Rivalität zu Microsoft. Zu Beginn der neunziger Jahre hatte Novell unter Nordaas Vorsitz mit kostspieligen Firmenkäufen versucht, dem Softwaregiganten aus Redmond im US-Bundesstaat Washington Paroli zu bieten - eine Strategie, die inzwischen fallengelassen worden ist.

Ob Linux Windows herausfordern kann, ist eine offene Frage. Laut Red Hat benutzen geschätzte fünf bis 10,5 Millionen Menschen das Betriebssystem. Dem gegenüber stehen 95 Millionen Kopien von Windows, die Microsoft voraussichtlich dieses Jahr ausliefern wird.

Aber Linux hat einige bemerkenswerte Erfolge vorzuweisen. Beispielsweise setzte die Spezialeffekte-Firma Digital Domain Red Hats Linux auf leistungsstarken Computern ein, um die atemberaubenden Bilder der "Titanic" zu berechnen, unter anderem das eisige Meer, das das Schiff verschluckt.

Ein weiterer Nutzer ist die US-Luft- und Raumfahrtbehörde NASA. Als am Goddard Raumfahrtzentrum in Maryland ein Supercomputer aus handelsüblichen PC-Teilen zusammengebastelt wurde, entschied man sich, den Zahlenknacker unter Linux zu betreiben, zum Teil aufgrund der Betriebssystem-Kultur.

"In der Linux-Gemeinde gibt es eine richtige Tradition, Teile zu einem größeren Projekt beizutragen", erklärte Goddard-Wissenschaftler Donald Becker. "Eine solche Einstellung macht jedem das Arbeiten einfacher."

Gemeinsames Entwickeln und Problemlösen machen aus Linux ein flexibles und ungewöhnlich stabiles Betriebssystem, argumentieren seine Befürworter. Der Nachteil ist, so Becker, daß Linux sich ständig verändert und von seinen Nutzern immer wieder auf den aktuellen Stand gebracht werden muß.

"Aber die Alternative wäre ein stagnierendes System", sagte er, "also ist das ein notwendiges Übel."

Das Modell freier Software, lange Zeit von den kommerziellen Softwareschmieden stiefmütterlich behandelt, steht inzwischen deutlich höher im Kurs. Netscape Communications hat vor kurzem angekündigt, seinen Web-Browser samt Quelltext freizugeben. Und Apache, der freie, von einem bunt zusammengewürfelten Haufen von Hackern entwickelte Web-Server, liefert geschätzte 45 Prozent aller Web-Seiten weltweit - mehr als irgendein anderer Server.



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